Bereitschaftspflegefamilien nehmen die aufgrund von Not- und Krisensituationen durch das Jugendamt in Obhut genommenen Kinder bei sich auf – häufig innerhalb kürzester Zeit – immer in besonders belasteten Situationen und in der Regel ohne etwas über die Vorgeschichte und die Besonderheiten des Kindes zu wissen.
Bereitschaftspflege ist für Kinder immer mit dem Verlust des bisherigen Lebens bzw. Lebensumfeldes verbunden. Obwohl die Herausnahme aus kindeswohlschädlichen Verhältnissen unumgänglich und notwendig ist, wird dieser Verlust von Gefühlen, wie Unsicherheit, Angst, Stress, Ohnmacht usw. begleitet und stellt insgesamt ein traumatisches Erlebnis dar. Verbleiben die Kinder länger als 6 Monate in der Bereitschaftspflege, binden sie sich an diese und werden mit der Vermittlung in die Dauerpflege oder Rückführung in die Herkunftsfamilie zum wiederholten Mal aus den gewohnten (und vielleicht bereits liebgewonnenen) Strukturen herausgerissen. Das Kind ist dann erneut den überwältigenden Gefühlen und Verlustängsten ausgesetzt.
Deshalb ist es wichtig, dem Kind Klarheit und Strukturen anzubieten, damit es sich psychisch und physisch orientieren und stabilisieren kann. Die FBB bietet außerdem Verlässlichkeit und macht die notwendigen Bindungsangebote, ohne die Kinder festhalten zu wollen.
Emotionale Phasen des Kindes im Verlauf der Bereitschaftspflege:
Aufnahme: hohe emotionale Belastung, Angst, Kontrollverlust, Ohnmacht, Trauer, Verwahrlosung
Schock: Abweisung, Überangepasstheit, Schlafstörungen, Appetitlosigkeit, Einnässen, Einkoten, Erstarren, Fieber usw. Die Dauer und Intensität des Schockzustandes hängt von der Vorbelastung des Kindes aus Herkunftsfamilie
Desorientierung: Neue Umgebung, neue Menschen und neue Regeln/ Abläufe passen nicht zu den bereits erlernten Mustern. Verhaltensmuster, die bisher notwendig waren, sind nun untauglich. Diese Phase wird deshalb durch Verhalten wie keine Grenzen einhalten, Aggression, Fordern von negativen Aufmerksamkeit usw. geprägt.
Beruhigung: Wenn Regeln und Abläufe vertraut werden, fängt das Kind sich zu orientieren. Es macht die Erfahrung, dass es als Person gesehen wird und seine Bedürfnisse wahrgenommen werden. In Folge dessen ist das Kind verstärkt in der Lage, aufmerksamer am Alltag teilzunehmen, entwickelt Lebensfreude und Neugierde, gestaltet seine Umwelt aktiv.
Stabilisierung: Kind entwickelt Aktivität und Kompetenzen (z.B. Sprache, Motorik usw.), erlernt Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten.
Neuorientierung: Kind interessiert sich für sein Umfeld, fordert vermehrt Klarheit in Bezug auf die Zukunftsperspektive.
Dauer:
- die Unterbringung in einer Bereitschaftspflege immer zeitlich befristet
- in der Regel handelt es sich hierbei um einen Zeitraum von 6 Monaten bis 1,5 Jahren
- Während dieser Zeit soll Perspektive des Kindes geklärt und vorbereitet werden
- Rückführung in die Herkunftsfamilie,
- Vermittlung in die Dauerpflege,
Gesetzliche Grundlagen:
- 8a SGB VIII – Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung
- 27 SGB VIII – Hilfe zur Erziehung
- 36 SGB VIII – Mitwirkung, Hilfeplan
- 37 SGB VIII – Zusammenarbeit bei Hilfen außerhalb der eigenen Familie
- 42 SGB VIII – Inobhutnahme von Kindern und Jugendlichen
Pädagogische Zielsetzung:
Das Kind kommt aus einer instabilen Lebenssituation. Durch die Aufnahme in der FBB wird die akute Gefährdung beendet. Es werden sofort stabile, überschaubare Lebensbedingungen für das Kind geschaffen, in denen es zuverlässigen und belastbaren Ansprechpartnern begegnet. Seine künftige Perspektive kann ohne Zeitdruck geplant werden.
Die aktuellen Lebensumstände des Kindes werden von der FBB in einfühlsamer Weise erfasst, so dass es in seinem Umgang mit den belastenden Erfahrungen Akzeptanz erfährt. Die FBB nimmt sowohl gegenüber den möglicherweise traumatischen Erfahrungen des Kindes als auch im Kontakt zu den Herkunftseltern eine professionelle Distanz ein.
Aufgaben der Bereitschaftspflege im Überblick:
- Sofortige Aufnahme eines fremden und krisenbelasteten Kindes auf Zeit
- Betreuung des Kindes wird Rund-um-die-Uhr
- Gewährleistung von Schutz
- Intensive Betreuung und Versorgung des Kindes
- Ärztl. Vorstellung/Abklärung des Gesundheitszustandes
- Förderung der sozialen, emotionalen und motorischen Kompetenzen im Alltag
- Verhaltensbeobachtung
- Enge Zusammenarbeit mit dem Träger und den beteiligten Institutionen
- Bereitschaft, den Kontakt zu Herkunftsfamilie zu ermöglichen
- Wahrnehmung von Terminen bei Ärzten und in Fördereinrichtungen
- Wahrnehmen/ Erkennen von Defiziten
- Begleitung von Gerichts- und Gutachterterminen
- Bindungswünsche des Kindes nicht forcieren
- Unterstützung bei der Rückführung/ Anbahnung des Kindes
- Ablösungsprozesse begleiten
Anforderungsprofil und Eignungsüberprüfung:
Nach einem von netzwerk in Absprache mit dem Jugendamt gesteuerten Verfahren wird die Eignung der Bewerber als FBB-Eltern geprüft. Dem Träger werden ein Lebensbericht (ggf. mit päd. Qualifikationsnachweis), erweiterte Führungszeugnisse, Erklärungen gem. § 72a SGB VIII, ärztliche Unbedenklichkeitsbescheinigungen sowie Einkommensnachweise zur Verfügung gestellt. Nach einem abschließenden Gespräch mit den Bewerbern bestätigt der Träger die Eignung als FBB-Eltern.
Eine pädagogische Qualifikation eines FBB-Elternteils oder eine einschlägige individuelle persönliche Eignung sollte vorhanden sein. Eine päd. Ausbildung stellt keine unabdingbare Voraussetzung dar.
Die Tätigkeit als FBB-Fachkraft muss mit den familiären Bedürfnissen vereinbar sein. Dies bezieht sich insbesondere auf die altersentsprechenden Bedürfnisse der leiblichen Kinder.
Des Weiteren gehören zum Anforderungsprofil der FBB:
- geeignete Wohnverhältnisse einschl. eines eigenen und kindgerecht eingerichteten Zimmers für jedes Kind
- ein stabiles und belastungsfähiges Familiensystem, das sich flexibel auf neue Situationen einstellen kann
- lebenspraktische Erfahrungen und gutes Einfühlungsvermögen im Umgang mit jungen Menschen in Krisensituationen
- Angebot von Kontakt und Beziehung mit der notwendigen Distanz
- Offenheit gegenüber anderen Lebensstilen, Kulturen und existenziellen Notlagen
- eine evtl. Berufstätigkeit der FBB-Fachkraft muss mit den Bedürfnissen des zu versorgenden jungen Menschen vereinbar sein
- Fähigkeit zur Abstraktion und Reflexion sozialer Prozesse und Wechselbeziehungen
- Fähigkeit und Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit den Herkunftseltern, deren sozialem Netz und den tangierten sozialen Diensten, Personen und Institutionen
- Fähigkeit, eigene Beobachtungen sowie Verhalten und Entwicklungsstand des jungen Menschen in einem schriftlichen Bericht darzustellen
- Mitwirkung im Entscheidungsverfahren nach § 36 SGB VIII
- Wahrung der Datenschutzbestimmungen (auch nach Beendigung der FBB) und Beachtung rechtlicher Rahmenbedingungen
- Bereitschaft zur Teilnahme an Beratungen, ggf. mit der ganzen Familie, Supervision und Fortbildungen des Trägers
- ärztliche Unbedenklichkeitsbescheinigung
- erweitertes Führungszeugnis ohne relevanten Eintrag
Weitere Ausschlusskriterien:
- die betreuende Person ist berufstätig (Vollzeit)
- eigene negativen Erfahrungen aus der Vergangenheit wurden noch nicht bewältigt